Jeder ist Experte, Expertin in seiner Sache…

In der Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigung kann ich mich an viele Erlebnisse erinnern, wo Begleitpersonen, SozialpädagogInnen meinten die Experten in der Sache anderer Menschen zu sein oder sein zu müssen anstatt die Menschen mit Beeinträchtigung selbst.

Ich stand einmal bei einer Person, welche ich begleitete in der Zimmertüre um nachzufragen, wie es mit der Darmfunktion – nach einer sehr starken Verstopfung – ,aussah‘. Die Person erzählte mir von ihren Problemen, in allen möglichen Farben und Ausführungsmöglichkeiten. Zuerst würdigte ich die Situation und die Probleme meiner Klientel mit meiner achtsamen Hörbereitschaft, ich wollte jedoch nicht alles verstehen. Dann stellte ich der Person folgende Frage: ‚Nehmen wir an, Du stehst nach einer ruhigen und erholsamen Nacht am kommenden Morgen auf und Dein Darm funktioniert so einwandfrei – besser als in deinen kühnsten Träumen, was ist dann anders oder was machst Du dann anders?‘

Die Person nannte Dinge wie: ‚Ja, dann fühle ich mich sehr gut und wieder gesund. Dann gehe ich zur Arbeit und geniesse meine Freizeit wieder voll und ganz. Dann bin ich zufrieden und glücklich. Dann trinke ich mehr. Ich esse mehr Gemüse und schaue generell mehr auf eine gesunde Ernährung. Ich bewege mich mehr als jetzt. Ich reagiere früher, wenn ich merke, dass etwas nicht stimmt. Ich informiere mich über die Anwendung von unterstützenden Medikamenten.‘

Es war eine Reihe von möglichen Lösungen, welche direkt von der Person kamen und nicht von mir. Meine Aufgabe bestand ’nur‘ noch darin zu schauen, was denn ein kleiner Schritt von der Person in Richtung dieser Lösungen war, damit diese näher zu ihren Lösungen kam.

Ich bin überzeugt, dass der Lösungsfokussierte Ansatz auch die UN-Behindertenrechtskonvention voll und ganz unterstützt, welche Menschen mit Beeinträchtigung als Experten in ihrer Sache sieht. Natürlich gilt dies für alle Menschen, da jede/r Experte/in in seiner/ihrer Angelegenheit ist und die Lösung bereits in sich trägt.

Welche Erlebnisse und Erfahrungen habt ihr mit ExpertInnen gemacht?

Wenn der Sohn Nein zu seinem Vater sagt…

Wir waren zu Besuch bei Freunden. Als der Sohn nach einem Kartenspiel mit unserer Tochter beim Clubtisch stehen blieb und einen seiner nackten Füsse auf den Club stellte, sah dies sein Vater offensichtlich und rief ihm zu, er solle doch bitte seinen Fuss vom Tisch nehmen. Der Sohn sagte für mehrere Sekunden nichts und fügte dann ein ‚NEIN‘ an. Sein Vater veränderte seine Stimmlage und wurde auch etwas lauter als vorher. Er sagte zu seinem Sohn: ‚Solch eine Antwort will ich von Dir nicht haben‘ und machte ihm seinen Standpunkt und mögliche Konsequenzen klar, wenn er nicht, dann… Der Sohn nahm seinen Fuss vom Tisch und verliess die Wohnstube.

Als der Sohn einfach ‚NEIN‘ sagte und ich die Antwort des Vaters darauf hörte, spürte ich eine direkte Reaktion im Körper und ich überlegte mir, wie ich denn in dieser Situation reagiert hätte. Ich dachte mir, dass in der Gewaltfreien Kommunikation gerade das ‚NEIN‘ die Aufforderung ist herauszufinden, was das Bedürfnis der NEIN-sagenden Person eben gerade ist. Ein NEIN als Aufforderung weiter zu machen. Die Aussage des Vaters kam vermutlich aufgrund eines unerfüllten Bedürfnisses, welches der Sohn jedoch in dieser Form der Kommunikation leider so nicht erfahren hat. Somit haben beide ihre Beobachtungen, Bedürfnisse und Gefühle, welche sie jedoch voneinander nicht wirklich kennen und dies könnte zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum ‚aktuellen‘ Thema werden, da es nicht aufgelöst sein könnte.

Was wären hier mögliche Ansätze gemäss GfK (‚ehrlich kommunizieren‘)?

Der Vater hätte dem Sohn seine genaue Beobachtung schildern können, dass er sieht, wie er seinen nackten Fuss, zwar nur mit den Zehen, auf dem Clubtisch hat. Er hätte sein Gefühl benennen können, beispielsweise – ich bin unsicher oder irritiert, vielleicht sogar ärgerlich. Weil er ein Bedürfnis nach Ordnung, Sauberkeit oder Anstand hat und dann seinem Sohn eine Bitte stellt. Beispielsweise, ob der Sohn bitte seine Füsse runternehmen kann. Falls der Sohn ein ‚Nein‘ zur Antwort gibt, wäre die Bitte anzupassen und die neue auszusprechen. So könnte er eine Bitte zum Bedürfnis nach Klarheit stellen: „Könntest Du mir bitte sagen, was Du gerade brauchst oder was du tun könntest, anstatt die Füsse auf den Tisch zu legen?“ Möglicherweise könnte der Vater auch sagen, ob dem Sohn 30 Sekunden die Füsse auf dem Tisch halten genug wären und er sie danach bitte runternehmen könnte, da er ein Bedürfnis nach Frieden und Harmonie hat… (und so weiter und so fort…). Wichtig ist auch die Verbindung, welche zwischen den Zweien bestehen muss, dazu jedoch mehr in möglichen weiteren Beispielen.

Welche positiven Erlebnisse mit NEIN-Sagen habt Ihr erlebt?